update: 04.10.2017


Die Linie, die sich duch mein Leben zieht

Ich bin eine Kriegsproduktion, sozusagen ein Reichskind und dazu noch Sachse.
Der Zufall hat es gewollt, daß ich nicht nur ein Sonntagskind bin, sondern auch am selben Tag geboren wurde, an dem meine Mutter Geburtstag hatte.

Mein Vater war zur Zeit meiner Geburt Soldat und meine Mutter lebte in Wuppertal-Elberfeld. Als sich auf Grund der Nähe zum Ruhrgebiet die Bombenangriffe häuften, hat sich meine Mutter in guter Hoffnung mit mir am 31.8.1943 zu Verwandten nach Naumburg ( damals noch Sachsen ! ) zurückgezogen. Dort bin ich denn auch geboren.
Nach der Rückkehr aus Amerikanischer Kriegsgefangenschaft meinte mein Vater, daß wir dort wieder abhauen sollten, bevor der Russe käme. So haben wir uns denn wieder nach Wuppertal aufgemacht, was die Heimat meiner Jugend wurde.
Aus den Aufzeichnungen meines Vaters:
02.07.1945 Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Naumburg.
06.07.1945 Wir verlassen Naumburg.
06.07.1945 Naumburg-Weimar-Erfurt-Gotha-Eisenach-Wartha ( mit dem Personenzug ).
07.07.1945 Wartha-Herleshausen ( zu Fuß ).
08.07.1945 Herleshausen-Metra-Hoheneiche-Eschwege ( zu Fuß ).
09.07.1945 Eschwege-Kassel-Warburg ( mit dem Personenzug ).
10.07.1945 Warburg-Soest-Langendreer ( mit dem Kohlenzug ),
10.07.1945 Langendreer-Hagen-Wuppertal ( mit dem Personenzug ).


Schulisch gesehen wurden mit mir zwei Experimente durchgeführt.
In der Volksschule begannen wir das Lesen- und Schreibenlernen mit der "Spurschrift". Erfolg oder Mißerfolg kann ich nicht mehr nachvollziehen.
Im Gymnasium durfte ich dann mit Latein anfangen, weil das angeblich besser zum logischen Denken führen sollte. Da könnte etwas wahres dran sein.

Mit 17 habe ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten, das Gymnasium mit der mittleren Reife abgeschlossen und bin mit Unterstützung meiner Eltern nach Duisburg und habe dort eine Maschinenschlosserlehre absolviert. Die Wahl fiel auf Duisburg, weil ich für die Zulassung für mein geplantes Schiffsingenieurstudium die Lehre bei einem eng begrenzten Kreis von Maschinenbaufirmen machen musste.

Zur damaligen Zeit brauchte man nicht zum Bund, wenn man Bergmann oder Seemann war. Die Vertreter des Bundes zeigten aber so ein reges Interesse an mir und ließen sich überhaupt nicht davon beeindrucken, daß ich doch zur See fahren wollte. Das könne ich auch noch nach dem Dienst beim Bund tun, war der Kommentar. Meine Abneigung war aber wesentlich größer als deren Zuneigung, so daß ich nach Abschluß meiner Gesellenprüfung, aber noch vor einem schon anberaumten Vorstellungsgespräch bei der Marine in Kiel und nur mit einer fernmündlichen Auskunftsbereitschaft über den Erfolg meiner Gesellenprüfung nach Zugfahrt, Seediensttauglichkeitsüberprüfung und Anmusterung hundemüde meinen ersten Wachdienst auf einem Handelsschiff der Hapag durchführte.

Ich fuhr 2½ Jahre als Ingenieur-Aspirant zur See! Auf Grund der Personalknappheit durfte ich im letzten Jahr vor der Ingenieurschule noch den Dienst eines 4. Ingenieurs verrichten. Das gab mehr Kohle!
Zwischenzeitlich hatte ich auch in Bremen die Prüfung zum Kleinmaschinisten ( C2 ) abgelegt. Das war aber bei der Hapag nicht gefragt.

Mein Ingenieurstudium war wegen der Praxisorientierung von Hause aus in zwei Teile aufgeteilt. Während der Semesterferien des ersten Teils bin ich mit meinem C2-Patent als Alleinmaschinist auf Küstenmotorschiffen gefahren, um mir wieder etwas Geld für mein Studium zu verdienen.
Durch meinen exzellenten Abschluß konnte ich meine vorgeschriebene Zwischenfahrtzeit um ein Jahr verringern.
Nach Beendigung des zweiten Abschnitts meines Studium erhielt ich bedingt durch den Wandel im Studiensystem neben meiner traditionellen Graduierungs-Urkunde [ Ingenieur ( grad. ) ] auch eine Diplom-Urkunde  [ Diplom-Ingenieur ( FH ) ]. Damit stieg ich wieder bei Hapag ein, diesmal in der Containerfahrt.

1968 habe ich geheiratet. Meine damalige Frau ist mit nach Hamburg gezogen und hat mich auch auf zwei Seefahrten nach Westindien begleitet. Als dann 1972 meine Tochter zur Welt gekommen ist, habe ich bald darauf die Seefahrt an den Nagel gehängt und einen Landjob in Frankfurt am Main angenommen.

1974 wurde ich zum zweiten Male Vater, diesmal ein Sohn.

Nach 17 Jahren ging meine Ehe in die Brüche mit der Scheidung als Folge.

1989 habe ich dann mit meiner zweiten Frau einen Ortswechsel nach Marktoberdorf durchgeführt. Zwangsläufig war das für uns beide auch mit einem Jobwechsel verbunden. Karrieremäßig hat das für uns beide keine Vorteile gebracht, die menschliche und natürliche Umgebung hat die Nachteile aber bei Weitem wieder ausgeglichen. Was mich betrifft, ich habe damals einfach die bayrisch ländliche und politische Kleinkariertheit der damaligen Akteure des hiesigen Landratsamtes (mein damaliger Arbeitgeber) zu spät erkannt und falsch eingeschätzt.
Mit der Schließung meines Arbeitsplatzes aus politischen Gründen war der öffentliche Dienst nach 27 Jahren für mich beendet, mit der Konsequenz, daß meine Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes flöten war. Mit der Aussicht auf mögliche 92% seines letzten Nettolohnes als Ruhe­standsgehalt im Rücken brauchte man sich ja wohl kaum Ge­danken über seine Altersversorgung zu machen. Das war plötzlich über Nacht anders.
Der Wiedereinstieg in einen öffentlichen Dienst andernorts war schier unmöglich.

Ich habe aber nach kurzer Arbeitslosigkeit bei einem Münchner Privatunternehmen einen Job in Kaiserslautern gefunden. Jedes Wochenende 440km hin und her. Nach einem Jahr habe ich intern in die Inbetriebnahme gewechselt. Mein erstes Projekt - jedes Wochenende rund 1000km hin und her. Dann durfte ich auch noch eine Insolvenz miterleben und habe nach einigen Turbulenzen bei Kraftanlagen München eine Anstellung als Bau- und Inbetriebnahmeleiter gefunden. Weil das eine große Firma war und ich einen guten Job erledigt hatte, konnte ich trotz erst 3 jähriger Betriebszugehörigkeit die dort praktizierte Altersteilzeit in Anspruch nehmen.

Auch mit Rückblick auf meinen Vater, der trotz seiner Krankheit meinte, bis zum Schluß arbeiten zu müssen und dann, als er endlich in den Genuß der Früchte seines langen Arbeitslebens kam, nicht mehr konnte, habe ich also mit 59 Jahren aufgehört zu arbeiten und bin mit 60 Jahren nach 513 angerechneten Beitragsmonaten, sprich 43Jahren renten­wirksamer Berufstätigkeit, mit 18% Abschlag in Rente gegangen nach dem Motto: "Scheiß auf das Geld. Diese 5 Jahre bin ich für mich da und für niemand anderen und diese Zeit kann mir später keiner mehr nehmen." Ich könnte zwar mehr Rente gut gebrauchen, aber ich kann meine Miete bezahlen und mir gelegentlich auch mal ein Bierchen leisten. Nach Neuseeland oder auf die Malediven in Urlaub fahren ist halt auf Dauer gestrichen. Ich habe diesen Entschluß bis heute nicht bereut.

Jetzt gehe ich ausschließlich meinen persönlichen Neigungen nach, ohne Stress und ohne irgendjemandem darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, außer meiner Frau natürlich.

Die Jahreszahl meines Alters wird jetzt durch eine 7 vorneweg geprägt. Wenn ich mich so in meiner Altersklasse umschaue, muss ich sagen: "Eigentlich geht es mir doch wirklich noch sehr gut!" Ich habe zwar nicht mehr alle Haare auf dem Kopf, 4 oder 5 falsche Zähne, trage eine Brille, zwei Hörgeräte und es zwickt mal hier und auch mal da. Dafür habe ich aber noch meine eigenen Hüft- und Kniegelenke, keinen Rollator im Hauseingang stehen und erkenne immer noch die Person, die mich morgens aus dem Spiegel heraus anschaut. Was will ich denn noch mehr?

Derjenige, der den kosmischen Einfluß auf unser Schicksal ausübt, möge mir weiterhin Kraft und Mobilität geben, damit ich noch möglichst lange so weiter machen kann.

Anmerkung